1. Eintrag:
Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht
Bedeutung:
Beispiele:
- Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Moment mal, was ist das denn für eine Ego-Nummer? Das waren zumindest meine Gedanken, als ich den launischen Spruch las
- Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Ein populäres Motto. Doch es macht nicht gerade liebenswert. Wir leben im Zeitalter des Egoismus
- Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Warum ich diesen Spruch hasse und warum er meiner Meinung nach überhaupt nicht wahr ist: Alles muss immer sofort sein. Alles sofort erledigt werden. Wenn man allerdings mal auf Teamwork setzt, dann bedeutet das meist nur eins: warten und dann doch alles selbst machen!
- Ungleichheit ist Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Leistung entsteht aus Ansporn. "Den Menschen treibt die Gier, und wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht", sagt Milton Friedman, US-Nobelpreisträger und Vordenker einer weitgehend schrankenlosen Marktwirtschaft. Die Spanne aber zwischen dem Vorstandschef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, dessen Jahreseinkünfte bei knapp zwölf Millionen Euro liegen, und dem Gehalt eines Mitglieds der Putzkolonne ist keine Frage mehr des Ansporns; für viele ist sie schlicht ungerecht
- Die Theoretiker gehen davon aus, dass es auch der gesamten Gesellschaft, dem ganzen Land dann am besten geht, wenn jeder seinen eigenen Nutzen maximiert: Denn jeder weiß ja selbst am besten, was er will. Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. So dachten die Vordenker der heutigen Volkswirtschaftslehre, Adam Smith im 18. und John Stuart Mill im 19. Jahrhundert
- Ganz banal könnte man sagen: "Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht!" Im Grunde ist dies scheinbar der Kern der smith’schen Theorie. Durch den Egoismus eines jeden Menschen funktioniert der Markt. Über den Markt werden alle Güter verteilt und weil jeder seinen Vorteil verfolgt, erhält man so den größten Nutzen aller
- Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der man tatsächlich glaubt, wenn jeder an sich denkt, dann ist an alle gedacht. Und ich möchte nicht in einer Welt leben, in der Menschen, die solche Gedanken haben, als Gutmenschen verspottet werden und verächtlich gemacht werden von denen, denen der Zynismus jegliche Empathie so zerfressen hat, dass sie ihre eigene Herzlosigkeit nur ertragen können, indem sie andere verächtlich machen
- Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Aber wenn jeder an jemand anderen denkt, auch
Ergänzungen / Herkunft:
Die übertragene Bedeutung geht von "an sich denken" = "egoistisch sein" und "es ist an alle gedacht" = "jedem wird geholfen" aus, bezieht sich also auf das klassische Verhältnis von Egoismus und Gemeinsinn.
Wenden wir den Spruch auf ein Beispiel an, das sich wirklich ereignet hat: Eine Bankfiliale hat einen Vorraum mit Geldautomaten, der rund um die Uhr geöffnet ist. Abends kommt ein Rentner hinein und will Geld abheben, erleidet jedoch einen Infarkt und fällt bewusstlos zu Boden. Nacheinander kommen mehrere Personen in den Raum, heben Geld ab, ohne dem Mann zu helfen. Er stirbt. Der Spruch ist hier als falsch zu bewerten, da der Egoismus der Personen dem Rentner nicht geholfen hat. Nehmen wir ein anderes Beispiel, das weniger eindeutig ist: Tritt bei einem Flug ein Notfall auf, so springen Sauerstoffmasken über den Sitzen herunter. Die Empfehlung ist nun, zuerst sich selbst die Maske aufzusetzen und erst dann anderen dabei zu helfen. Der Grund ist klar: Nur wenn ich Luft zum Atmen habe, weil ich ganz egoistisch dafür gesorgt habe, bin ich überhaupt erst in der Lage, anderen zu helfen. Damit ist der Spruch jedoch noch nicht richtig, denn sobald ich anfange, dem anderen zu helfen, handele ich nicht mehr egoistisch und verlasse damit die Handlungsebene, die in dem Sprichwort formuliert wird. Die Logik des Spruches dreht sich im Kreis, er wird unsinnig.
Wenden wir das Sprichwort auf Wirtschaft und Gesellschaft an, so ergibt sich ein ähnliches Bild. Man kann es auch als Ausdruck der wirtschaftsliberalen Ideologie auffassen. Wer - ganz egoistisch - viel arbeitet, um viel zu verdienen, ist motiviert und produziert mehr. Die höhere Produktion sorgt aufgrund der Konkurrenz für niedrige Preise, wovon alle profitieren. Und so hat die Liberalisierung die Produktivität erhöht und Armut erniedrigt. Nur: Nicht alle profitieren davon, einige haben auch verloren (nicht nur Menschen, sondern auch die Natur), und die Ungleichheit ist stark angewachsen (heute höher als in Zeiten des Feudalismus), was die innergesellschaftlichen Konflikte (z. B. Kriminalität, Diskriminierung von Minderheiten, Verschiebung der Machtverhältnisse, die der Demokratie und der Chancengleichheit entgegenwirkt) erhöht. Es bedarf also Regeln, die einen Ausgleich schaffen - und diese müssen kollektiv gewollt und auch durchgesetzt werden. Von diesen Regeln ist in diesem Sprichwort allerdings keine Rede - im Gegenteil: "An alle gedacht" sei quasi automatisch schon als Ergebnis egoistischen Handelns.
Das Sprichwort stellt einen also einen Zusammenhang her, der nicht existiert. Mehr noch: Egoistisches Handeln selbst ist wertneutral und kann solidarisch sein oder auch nicht. Ein letztes Beispiel: Wenn ein Land einem anderen Land Panzer verkauft, die dort dafür genutzt werden, die Macht einer brutalen, parasitären Elite zu sichern, dann ist das etwas anderes, als wenn dem Land etwa landwirtschaftliche Maschinen oder Medikamente verkauft werden - auch wenn beides aus egoistischen Motiven geschieht.
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Das Sprichwort enthält einen wahren Kern: Nur wenn ich für mich selbst sorge, bin ich stark genug und dazu in der Lage, anderen zu helfen. Ob ich dies dann aber auch tue, steht auf einem anderen Blatt. Und das geschieht eben nicht automatisch, wie das Sprichwort behauptet.
Es ist noch sehr jung, der erste Beleg stammt aus dem Jahr 1989
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