1. Eintrag:
zwischen den Zeilen lesen
Bedeutung:
die Andeutungen eines geschriebenen Textes verstehen; beim Lesen den tieferen Sinn ermitteln, der sich nicht unmittelbar aus dem Geschriebenen ergibt, sondern nur indirekt durch logische Schlussfolgerungen und Interpretation erschlossen werden kann
Beispiele:
- Geheimsprache im Arbeitszeugnis: Das Entscheidende steht zwischen den Zeilen
- Vorsichtig sind die Postkarten formuliert, der rote Stempel der nationalsozialistischen Postzensur findet sich auf jeder von ihnen. Um etwas über das Schicksal der Großeltern zu erfahren, musste Wächter zwischen den Zeilen lesen
- Der Renndirektor liefert damit zwischen den Zeilen eine stille Absage an Altmeister Button, der im Wettstreit mit seinem jungen Teamkollegen Kevin Magnussen steht
- Eine Sensibilität für die leisen Zwischentöne zeichnet Beyers Sprachkunst aus. Sie möchte, wie sie erklärt, den Raum für Denken und Phantasie zwischen den Zeilen öffnen
- Achten Sie bei Ihren Texten auf das, was zwischen den Zeilen steht!
- Was möchte die andere Person wirklich sagen? Nimmst du ihre Worte wirklich richtig auf, und liest zwischen den Zeilen und achtest auf die Körpersprache? Lasse deine Ohren zur Abwechslung etwas von der Beurteilung übernehmen
Ergänzungen / Herkunft:
Zeile bedeutet eigentlich Reihe, Linie. Der Begriff findet sich beispielsweise auch in der Bildung "Häuserzeile" oder im Straßennamen "die Zeil" in Frankfurt am Main. Aus der Druckersprache stammt die Anwendung auf die Buchstabenreihe (lat. linea). Im Mittelalter schrieb man Übersetzungen interlinear, das heißt, über jedes fremde (etwa: lat.) Wort wurde das entsprechende deutsche Wort gesetzt. Die Redensart bezieht sich allerdings nicht auf diese Übung der Klosterschreiber - dazu ist die zu jung. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert und geht auf die Bedeutung Zeilen = Brief zurück (Vielen Dank für Ihre freundlichen Zeilen). Da ein Brief auch in die falschen Hände geraten kann, werden häufig Andeutungen gemacht, die nicht jeder versteht. Oft wird die Notwendigkeit, etwas Ungeschriebenes hinzuzudenken, sogar durch regelrechte "Lückenzeichen" wie Satzabbruch und Pünktchen gekennzeichnet. Vereinzelt wird die Redensart im erweiterten Sinne auch auf nicht-schriftliche Kommunikation angewendet (letztes Beispiel)