1. Eintrag:
die Unschuld vom Lande sein / spielen
Bedeutung:
Beispiele:
- Ach komm schon, Mara! Du magst aller Welt ja die Unschuld vom Land vorspielen, aber mir gegenüber kannst du ruhig ehrlich sein
- Du warst ja noch so dumm, eine richtige Unschuld vom Lande
- Sie schürzte die Oberlippe, spielte die Unschuld vom Land, was ihm gut gefiel
- Es geht um Geld und Moral – und alle Akteure sind so weiß wie die Unschuld vom Lande
- Schleußer gibt nach wie vor die Unschuld vom Land. Nur zwei private Flüge will er mit den Jets der Airline "Privat Jet Charter" (PJC) an die kroatische Adriaküste unternommen haben
- Von wegen Unschuld vom Lande: Ayinger "Mädls" zeigen sich sexy
- Im perfekten Westernlook erzählt die vermeintliche Unschuld vom Lande die herzzerreißende Story von der rechtschaffenen Gottestochter
Ergänzungen / Herkunft:
Im engeren Sinne handelt es sich um die literarischen Gestalten der unbescholtenen Naiven und ihres zynischen und treulosen Liebhabers. Beide repräsentieren zugleich Herkunfts- und Standesunterschiede, die bis ins 17. Jahrhundert allerdings eher im bukolischen Sinn (siehe auch "der Himmel auf Erden"), nämlich als Überlistung einer im Naturzustand befindlichen Naiven (häufig eine Schäferin oder Bäuerin) stilisiert werden. Erst im 18. Jahrhundert entsteht eine reiche Ausgestaltung dieses Motivs, die gerade die Standes- und Bildungsunterschiede thematisiert und das Verhältnis zwischen der Ahnungslosen und ihrem (meist adeligen) Verführer mit psychologischen und sozialkritischen Facetten versieht. Wegweisend wirken hier vor allem die Romane des Engländers S. Richardson (Pamela 1740; Clarissa 1748), die in Deutschland insbesondere von Lessing aufgegriffen und dramatisiert werden (Miss Sarah Sampson 1755; Emilia Galotti 1772).
Seit 1774 wird das Motiv im Sturm und Drang durch die Pointierung des Kindermords und seine Folgen noch verschärft: Die unverheiratete Mutter, die ihr Neugeborenes tötet, um nicht gesellschaftlich geächtet zu werden, wird nicht mehr isoliert beschuldigt, sondern als Produkt der gesellschaftlichen Normen begriffen, was seinerseits wieder die bis dato übliche Todesstrafe für die "Kindermörderin" (ein Drama H. L. Wagners, 1776) problematisiert.
Die bekannteste Unschuldige der deutschen Literatur - das Gretchen in Goethes Faust - gehört ebenfalls in diesen historischen Zusammenhang.
Nach der Abschaffung der Todesstrafe wird das Motiv im 19. (Strindberg, Stendhal, Maupassant) und 20. Jahrhundert (Hauptmann, Horvath u. a.) besonders im Rahmen psychologischer Kategorien entfaltet.
Siehe auch "die gekränkte Unschuld spielen"
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