1. Eintrag:
den aufrechten Gang gehen
Bedeutung:
Beispiele:
- Alles hemmungslose Querulanten oder aufrechte Kämpfer in eigener Sache? Die Grenzen sind fließend, und manchmal erweist sich ein scheinbarer Selbstzerstörer als gesünder, als der Anpasser von nebenan. Doch wie weit geht der aufrechte Gang, wo fängt die Rechthaberei an?
- Endlich Friede. Wer hatte in Deutschland nicht aufgeatmet?! Aber Befreiung? Errettet, befreit, erlöst, dieses Glück empfanden nur die Überlebenden des Widerstandes, die Inhaftierten der KZ, der Nazikerker, die im Exil, schließlich alle, auch wenn sie keinen Widerstand leisteten, im Innern Gegner des Naziregimes, im aufrechten Gang blieben
- Als ehemaliger DDR-Bürger hatte ich mir, mit vielen Gleichgesinnten, in der "friedlichen Revolution" den "aufrechten Gang" erkämpft, und ich denke nicht daran, ihn wieder abzulegen!
- Den aufrechten Gang wieder einüben - Unter dem Motto 'Aufrecht geh'n' versammeln sich die Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe an diesem Sonntag in Stein zu ihrem Bezirkstreffen
Ergänzungen / Herkunft:
Der "aufrechte Gang" bedeutet im wörtlichen Sinn eine gerade Körperhaltung beim Gehen und wird oft in Bezug der Evolution des Menschen, seiner Entwicklung zur Zweibeinigkeit und zur Kennzeichnung seiner besonderen Stellung im Tierreich verwendet. Im übertragenen Sinn wird er zum positiven Sinnbild der Standhaftigkeit, des Mutes und der Aufrichtigkeit (siehe hierzu auch "Rückgrat haben / zeigen", "etwas auf die Beine stellen").
Schon antike und biblische Texte zeigen, dass die konkrete Position der aufrechten Körperhaltung leicht mit abstrahierender Moralaufladung verbunden werden kann. Erste schriftliche Zeugnisse zur bildhaften Verwendung finden sich - sicherlich nicht zufällig - in Texten der deutschen Aufklärung. Johann Gottfried Herder schreibt vom "aufrechten Gange" und dass "die innere Bildung zur Vernunft und Freiheit nur auf einer aufrechten Gestalt möglich war" Q.
Die heute noch gegenwärtige, oft im Bereich von Politik und Gesellschaft angesiedelte Verwendung wurde insbesondere durch den Philosophen Ernst Bloch (1885-1977) geprägt, der den "aufrechten Gang" als Ausdruck menschlicher Würde verstand: "Aufrechter Gang, er zeichnet vor den Tieren aus, und man hat ihn noch nicht. Er selber ist nur erst als Wunsch da, als der, ohne Ausbeutung und Herrn zu leben" Q. Seine Schriften wurden insbesondere von der 68er-Studentenbewegung rezipiert, der aufrechte Gang wurde zum linken Leitbild. Später wurde der Ausdruck auch im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution in der DDR ab 1989 eingesetzt.
In jüngerer Zeit sieht Peter Thiergen einen Trend zur Banalisierung des Ausdruckes: "Wenn das Bild im Fußballsport auftaucht ('Parterre-Akrobat probt den aufrechten Gang'), in Songs für den Grand Prix d'Eurovision begegnet oder die Beschreibung für die Laufstegversuche der Aspirantinnen in Germany’s Next Topmodel verwendet wird, muss man angesichts solcher trash-culture-Effekte Nehmerqualitäten mitbringen" Q
Aufrechter Gang und liegendes Sein - Zu einem deutsch-russischen Kontrastbild, 2010, S. 29✗
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