1. Eintrag:
das gesunde Volksempfinden; gesundes Volksempfinden

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Bedeutung:
Beispiele:
- Wenn dem "gesunden Volksempfinden" das Streichholz gereicht wird ... - Zu der Serie von Brandanschlägen auf Moscheen in Berlin
- Dürfte sich "gesundes Volksempfinden" durchsetzen, ohne in den komplizierten Prozessen einer repräsentativen Demokratie gefiltert zu werden, gäbe es in Deutschland womöglich längst "Kopf-ab-Urteile" für Straftäter
- Sieht die Zukunft nach Vorstellung des BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter) dann so aus: Erst einmal alle unter Generalverdacht stellen und wer sich nicht freiwillig dem Gentest unterzieht, wird "extrem" verhört? Ich bin gespannt, was da noch so alles an gesundem Volksempfinden aus dieser Richtung kommt
- Ich nehme an, einige dieser Kleingärtner verstehen die Welt nicht mehr. Sie sind ganz unschuldig ihrem "gesunden Volksempfinden" gefolgt. Sie wollten die ethnische (früher sagte man: völkische) Kontrolle über ihre Welt bewahren und beharren auf dem Recht auf Ausschluss von angeblich fremdartigen Mitbürgern
- Der Prozess gegen den Kindermörder Marc Hoffmann markiert einen neuen Höhepunkt im Kanon der Vergeltungs-Schreier in unserem Land; regelmäßig wieder zu solchen traurigen Anlässen steigert sich das Crescendo des "gesunden Volksempfindens" in ungeahnte Höhen. Fakt ist aber auch: die Zahlen der Sexualverbrechen an Minderjährigen gehen seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Die Medien vermitteln allerdings ein anderes Bild
- Meine Phobie bezüglich einer instrumentalisierten Menge, mein gewisses Trauma im Hinblick auf Selbstjustiz oder gar Lynchjustiz habe ich bereits anderweitig und schon mehrfach dargelegt. Bei jedem, noch so scheußlichen Verbrechen kommt es wieder hoch, nicht allein wegen der Tat selbst, ebenfalls wegen diesem "gesunden Volksempfinden", welches dann sehr schnell und medial mehr oder weniger subtil "dem Volk" vermittelt wird
- Allen Genannten gemeinsam ist die Überzeugung, dass die Unterscheidung zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als totalitärer Ideologie eine künstliche - oder zumindest äußerst problematisch - ist. Obgleich sie sich gerne in der Rolle der Aufklärer und einsamen Mahner sehen, artikulieren sie nichts anderes als das "gesunde Volksempfinden" im Jahr 2006. Wer wie Broder heute noch mangelnden Widerstand gegenüber Islam und Islamismus beklagt, hat schlicht die Entwicklungen der letzten Jahre verschlafen
- Als ehrenamtlicher Richter in strafgerichtlichen Prozessen kann man das gesunde Volksempfinden in die Urteilsfindung einfließen lassen, zumal die beiden Schöffen den Berufsrichter auch überstimmen dürfen. Damit kann der liberalen Weicheierei in der Rechtsprechung, die Täterschutz vor Opferschutz stellt, entgegengewirkt und ein höheres Strafmaß etwa gegen kriminelle Ausländer und linksradikale Gewalttäter durchgesetzt werden
Ergänzungen / Herkunft:
Die theoretische Grundlage für die spätere Verwendung dieses Ausdruckes wird auf den Rechtsgelehrten Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) zurückgeführt Q. So schreibt dieser 1840: "Das Recht hat sein Daseyn in dem gemeinsamen Volksgeist ..., also in dem Gesammtwillen, der insofern auch der Wille jedes Einzelnen ist" Q
Friedrich Carl von Savigny: System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, Berlin, 1840, S. 24✗
Savigny ist allerdings nicht der Urheber des Ausdrucks, vielmehr wurde er seit Ende des 19. Jahrhunderts Q zunächst im normalen, freien Wortsinn verwendet und nicht nur auf Rechtsfragen bezogen. Dabei war die Nebenbedeutung neutral bis positiv und nicht gesellschaftspolitisch so aufgeladen wie heute Q
vergleiche z. B. Czernowitzer Tagblatt, 14.12.1907, S. 4, Sp. 1, Theater und Kunst; Das Rote Kreuz, Offizielle Zeitschrift des Belgischen Roten Kreuzes (Het Rood Kruis: officieel tijdschrift van het Rood Kruis van België), Brüssel, 23.01.1916, Nr. 3, S. 11; Dorpater Zeitung, 16.10.1919, Nr. 223, S. 3, Sp. 3✗
Prägend - auch in Bezug auf ihre heutige Bedeutung - war der Gebrauch während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur (1933-1945), in der der Ausdruck zu einer festen Wortverbindung wurde und Eingang in Gesetzestexte fand. Damit sollte den Richtern ein höherer Ermessensspielraum gegeben und die Rechtsprechung für die Nazi-Ideologie geöffnet werden. Das angeblich "natürliche" Gefühl des Volkes in Rechtsfragen wurde dabei mit der NS-Ideologie gleichgesetzt und diente damit als Rechtfertigung unmenschlicher und verbrecherischer Urteile.
Heute wird der Begriff in der Regel abwertend gebraucht (und deshalb oft in Anführungszeichen gesetzt um anzudeuten, dass man selbst dieses Empfinden gar nicht "gesund" findet, also eher ablehnend gegenübersteht), z. B. wenn es um die Forderung nach höheren Strafen für Straftäter, um die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Einstellung gegenüber Migranten oder um die Bewertung moderner Kunst geht. Das "gesunde Volksempfinden" steht hier für eine unüberlegte, intolerante, wenig differenzierende, politisch rechts angesiedelte, auch rücksichtslose und diskriminierende Einstellung, die mit einer zivilgesellschaftlichen Rechtsauffassung wenig gemein hat und daher mit "populistisch" umschrieben werden kann - also Auffassungen, die zwar populär, aber in der Praxis wenig hilfreich sind. So lässt sich z. B. nicht nachweisen, dass höhere Strafen für Kriminelle zu einem Rückgang der Zahl der Straftaten führen (Demgegenüber gibt es z. B. einen Zusammenhang von ökonomischer Ungleichheit und Gewaltdelinquenz).
In positiver Konnotation wird der Begriff selten, oft von Personen mit rechtsradikal-autoritärer Gesinnung verwendet (letztes Beispiel aus einem Text der rechtsradikalen Partei NPD).
Siehe auch "Gleiches mit Gleichem vergelten"