1. Eintrag:
vom anderen Ufer sein
Bedeutung:
Beispiele:
- Michael ist vom anderen Ufer!
- Du bist "vom anderen Ufer", fühlst dich dort aber noch nicht ganz sicher? Du willst Gleichgesinnte in einem entspannten und lustigen Umfeld kennenlernen?
- Ein Jungbauer vom anderen Ufer, ein schwerhöriger Opa und ein Mann in Frauenkleidern stellen den beschaulichen Alltag eines Bauernhofes auf den Kopf
Ergänzungen / Herkunft:
Sie stammt aus einer Zeit, in der Homosexualität nicht nur gesellschaftlich geächtet war, sondern auch unter Strafe stand. Küpper gibt als Entstehungszeit das Jahr 1935 an Q. Der möglicherweise erste schriftliche Beleg ist jedoch schon 1892 in einem unveröffentlichten Brief des Dichters Hugo von Hofmannsthal an Hermann Bahr zu finden. Hofmannsthal bezog sich darin auf die homoerotischen Annäherungsversuche des Dichters Stefan George, auf die Hofmannsthal zunächst mit einer Mischung aus Enthusiasmus und Furcht zugleich reagierte.
Sowohl George als auch Hofmannsthal sind der literarischen Richtung des Symbolismus zuzurechnen, der Ende des 19. Jahrhunderts entstand und indirekte Stilmittel wie Symbole, Metaphern, eine schwebende Musikalität der Sprache, Überschneidung von Bedeutungsschichten, Synästhesie, assoziationsbildenden Reim, Umschreibungen u. ä. einsetzte, um eine "ästhetische oder mystische Kunstwelt" Q zu erschaffen.
Nach der Begegnung mit George schrieb Hofmannsthal in einem Gedicht:
Du hast mich an Dinge gemahnet
Die heimlich in mir sind,
Du warst für die Saiten der Seele
Der nächtige, flüsternde Wind
Q
Nach weiterem Drängen Georges zog sich Hofmannsthal jedoch zurück und wollte Bahr um Hilfe bitten, um George loszuwerden. Als dieser jedoch nicht zu Hause war, wandte sich Hofmannsthal an seinen Vater. In einem zweiten Brief an Bahr bezeichnet er die Angelegenheit "ein symbolistisches Experiment vom anderen Ufer": "Ich habe Sie in der ersten Verlegenheit um Hilfe rufen wollen, weil Sie der einzige sind, dem gegenüber ich mir die lange Vorexplication erspart hätte. Da Sie aber nicht zu Hause waren, sage ich Ihnen, dass Papa die unangenehme Geschichte selbst in die Hand genommen hat. Ich war weniger beunruhigt als peinlich berührt; und hoffe Sonntag schon den letzten Bericht 'vom anderen Ufer' über dieses symbolistische Experiment erhalten zu können" Q
Ilija Dürhammer: Geheime Botschaften - homoerotische Subkulturen im Schubert-Kreis, bei Hugo von Hofmannsthal und Thomas Bernhard, Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar, 2006, S. 126✗
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