1. Eintrag:
jemandem / einer Sache den Spiegel vorhalten



4Häufigkeit:
1 = sehr selten
...
7 = sehr häufig
8 = regional begrenzt 9 = veraltet
✗Bedeutung:
jemanden / eine Sache treffend und kritisch beschreiben; jemandem sein Handeln begreiflich machen; jemandem zeigen, wie er wirklich ist
Beispiele:
- In seinem Artikel hält er all jenen einen Spiegel vor, die mittellose Menschen pauschal als "Penner" aburteilen
- Der gelernte Jurist Meinhard Miegel will "den Deutschen" einen Spiegel vorhalten, in dem sie ihre eigene Verformung - um nicht zu sagen Perversion - erkennen, auf dass sie sich, vor allem aber die grundfalsche Politik aller Parteien ändern
- Ein Coach bereitet Unterlagen für die Termine vor, regt im Gespräch durch Fragen zur Selbstreflexion an und hält auch mal den Spiegel vor
- Amerikas berühmtester Dokumentarfilmer Michael Moore untersucht das Verhältnis seiner Landsleute zu Feuerwaffen und hält damit der amerikanischen Gesellschaft und ihren Politikern, die meinen, gegen den Irak Krieg führen zu müssen, einen schonungslosen Spiegel vor
Ergänzungen / Herkunft:
Das lat. Lehnwort "Spiegel" kam mit dem Gerät im 12./13. Jahrhundert nach Deutschland. Das vorher übliche althochdeutsche Wort "scucor" bedeutet "Schattenbehälter" und bezieht sich auf das Schattenbild auf der Wasseroberfläche, die noch heute als "Wasserspiegel" bezeichnet wird. Die antike Mittelmeerkultur kannte dagegen den Metallspiegel; der Glasspiegel ist nach Plinius eine Erfindung der Sidonier. Dem Spiegelbild ist seit jeher eine besondere Zauberkraft zugeschrieben worden. Noch heute verwendet der Wahrsager die spiegelnde Kristallkugel, um in die Zukunft zu sehen. Uralt ist auch der Gedanke an die selbstverzaubernde Kraft des Spiegelbildes, wie sie uns etwa im Mythos des Narziss aus Ovids "Metamorphosen" entgegentritt. In der Gestalt des Narziss nimmt Ovid auch den Aspekt der Irrtumsphase auf, in welcher der Betrachter noch nicht weiß, dass er mit dem Spiegelbild identisch ist. Der "wissende" Spiegel taucht in vielen Märchen und Mythen auf: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?". Der Spiegel als Hort des Wissens und zugleich als Möglichkeit der didaktisch-pädagogischen Belehrung durch das Zeigen (guten oder schlechten) menschlichen Verhaltens liegt auch der Bezeichnung Spiegel für Rechtssammlungen (Sachsenspiegel) und Erziehungsschriften (Beichtspiegel) zugrunde. Als Fürstenspiegel bezeichnete man in diesem Sinne diejenigen Schriften des 15. bis 17. Jahrhunderts, in denen das Idealbild eines Herrschers vorgestellt und mit Ratschlägen zu Regierungsweisen und politischen Verhaltensmaßregeln verknüpft wurde. Das bekannteste und berüchtigste Beispiel dieser Textsorte ist die Schrift "Il Principe" des Florentiners Niccolo Machiavelli (1469-1527), die im Jahre 1532 erschien. Machiavelli rechtfertigt in diesem Fürstenspiegel selbst unmoralische Handlungen, wenn sie dem Erhalt der absolutistischen Staatsräson dienen. Populäre Versionen, die dem einfachen Mann den Spiegel vorhalten, liegen vor im Volksbuch "Eulenspiegel" (1515) und im "Narrenschiff" des Sebastian Brant (1494), in dessen Vorwort es heißt: "Den Narrenspiegel ich dies nenn', damit ein jeder Narr sich als solcher auch erkennt"