1. Eintrag:
seiner Zunge freien Lauf lassen
Bedeutung:
Beispiele:
- "Ob ich nächstes Jahr noch mal antreten werde, weiß ich nicht", lässt er seiner Zunge freien Lauf und spricht aus, was viele denken
- Vermeintlich fern aller Mikrofone ließ Kroatiens sozialdemokratischer Oppositionschef Zoran Milanovic beim Buhlen um die nationalistisch angehauchten Wählerseelen seiner Zunge freien Lauf
- Auch der Grandseigneuer des deutschen Kabaretts, "Scheibenwischer" Dieter Hildebrandt, lässt seiner spitzen Zunge in Braunschweig freien Lauf
Ergänzungen / Herkunft:
Redensartlich hat die Zunge verschiedene bildhafte Eigenschaften. Einmal gilt sie als Schwelle oder Schranke, welche das Wort überwinden muss ("etwas nicht über die Zunge bringen"). In einem anderen Bild sitzt oder liegt das Wort auf der Zunge ("etwas auf der Zunge haben"), und man muss "seine Zunge hüten" oder die "Zunge im Zaum halten" bzw. "ihr freien Lauf lassen" (18. Jahrhundert Q
Samuel Richardson: Clarissa, Bd. 6, Göttingen 1750, S. 234; Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, Bd. 3, Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 268: "Ich ließ meiner Zunge und meinen Thränen freyen Lauf"✗
Die vielen festen Beiwörter (wie: giftig, scharf, schwer, falsch), die zu Zunge treten können, stecken ein weites Panorama von Arten des Sprechens ab. Es reicht von der Boshaftigkeit und Lüge bis zur Frechheit und Betrunkenheit. Die Zunge führt hier gewissermaßen ein Eigenleben, für das ihr Besitzer nicht ganz verantwortlich zu machen ist. Daher kann sie auch isoliert gesehen bestraft werden: In volkstümlichen mittelalterlichen Darstellungen wird dem Spitzzüngigen die Zunge abgeschliffen, und das alte deutsche Recht sah bei Meineid die Strafe des Abschneidens der Zunge vor bzw. das Nageln der Zunge an den Pranger. Das erinnert auch an die "gespaltene Zunge" des Lügners und der Schlange
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